Hallo zusammen,
ich habe etwas mit mir gerungen, ob ich das für mich behalte oder doch kundtue - mit etwas Forum-Erfahrung weiß ich, dass es überall edle Ritter gibt, die jederzeit zu Steinigungen bereit sind, wenn deren subjektiver, i.d.R. unfundierter Meinung nach irgendwer etwas tut, was ihren Vorstellungen zuwider läuft - auch hier ist mir in meiner kurzen Laufzeit schon so ein scheinheiliges Exemplar untergekommen - glücklicherweise mittlerweile kaum noch aktiv.
Als großer Fan von Transparenz, weil es sicherlich einigen das aquaristische Leben spürbar erleichtert und Nerven schont, hier nun mein Bericht.
Was ist passiert?
Als ich Ende Februar zurück aus dem Urlaub war, hatte ich einen ziemlich unansehnlichen Algenteppich auf meinem strahlendweißen Sand. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Cyanos.
Ich wusste bereits, dass die keine hohen Redoxpotentiale mögen, habe noch ein wenig recherchiert und bin hier gelandet:
Wasserstoffperoxid-Kur - | Aquasabi | Aquasabi - Aquarium Shop
Es wird eine H2O2-Kur gegen Cyanos empfohlen - mit Mengenangaben. Außerdem findet sich dort auch noch eine H2O2-Kurempfehlung zur Bekämpfung von Grünalgen. Die zu verabreichende Menge H2O2 ist hier sogar um den Faktor 2,33 höher - und wir reden hier von laufenden, besetzten Becken.
Mein Becken war nicht besetzt und somit gab es die Maximaldosis H2O2 für die Cyanovariante. Meines Erachtens, hat das funktioniert - Algenwachstum stellte sich ein, die Cyanos sahen erkennbar angegriffen aus. So weit so gut. Das war in der letzten Woche vor Besatz.
Heute vor 2 Wochen wurde das Becken endlich besetzt - große Freude. Vorsichtshalber habe ich am Vortag 0,5 g/l Salz dazugegeben.
Das Becken wurde mit Hirschhornsalzmethode eingefahren, Nitrit war lange durch - auch bei sehr üppigen HHSalzgaben am nächsten Tag nicht nachweisbar.
Einen Tag nach Besatz habe ich aus Jux trotzdem noch mal NO2 gemessen - und siehe da: 0,2-0,4 mg/l!
Modus: Panik! (nur sehr kurz)
VERMUTUNG:
H2O2 zerfällt recht fix zu H2O und einem Sauerstoffradikal. Dieses Sauerstoffradikal will unbedingt sofort irgendwas oxidieren, gut oxidierbar sind organische Verbindungen, wie z.B. Algen, aber eben auch Bakterien in ihrem Biofilm und auch der Biofilm selbst.
Da mein Becken bis auf die Algen kaum organisch belastet war, haben die freiwerdenden Sauerstoffradikale wohl auch meinen mühsam herangezogenen Biofilm zur Nitrifikation zerschossen.
Die ganze HHSalzgeschichte war also praktisch für'n Garten, theoretisch bin ich aber nach wie vor dankbar für die Erfahrung.
Den Fischen war absolut überhaupt nichts anzusehen - aktiv, hungrig, balzend, sich jagend, Cyprichromis voll in Farbe, Atmung normal.
Was habe ich unternommen?
KEINE WASSERWECHSELORGIE.
Stattdessen habe ich gerechnet:
Meerwasserleute interessiert NO2 nicht die Bohne. NO2 wird nicht gezielt von den Fischen aufgenommen sondern gelangt konzentrationsabhängig über Ionenkanäle in den Fisch, die eigentlich Chloridionen reinlassen sollen. Angenommen, es gibt im Wasser nur Cl- und NO2- als einfach negativ geladene Ionen, gelangen die in genau dem Verhältnis in den Fisch, in dem sie auch im Wasser vorliegen. Und im Meerwasser befindet sich mit über 30 g/l Salz eine zigtausendfach höhere Konzentration Cl- als man sie mit NO2- im aquaristischen Betrieb überhaupt erreichen kann.
Vgl.: Nitrite – Wikipedia
Nun hatte ich keine >30 g/l Salz sondern nur 0,5.
Salz oder Natriumchlorid hat ein Gewicht von 58,44 g/mol.
0,5 g/l Salz entsprechen also 0,0086 mol/l (0,5 / 58,44), das gilt sowohl für Natrium als auch Chlorid, die mit NaCl im Verhältnis 1:1 kommen.
Vorsichtshalber bin ich davon ausgegangen, 1 mg/l NO2 im Wasser zu haben - also deutlich mehr als gemessen.
NO2 hat ein Gewicht von 46 g/mol.
1 mg/l NO2 entsprechen also 2,17 * 10^-5 oder 0,0000217 mol/l (1 / 1000 / 46).
Das Verhältnis von Chlorid zu Nitrit - und nur darauf kommt es an - ist also 0,0086 / 0,0000217 = 395,6!
Im Fisch kommen also nur 1 / 395,6 der Nitritionen der Menge an, die er in chloridfreiem Wasser aufnehmen würde.
Effektiv (die Fischgiftigkeit betreffend) entspricht eine NO2-Konzentration von 1 mg/l mit 0,5 g/l Salz im Wasser also einer NO2-Konzentration von gerade mal 0,0025 mg/l und ist damit absolut im grünen Bereich.
Ich habe in den letzten 2 Wochen anfänglich täglich 3 mal NO2 gemessen, normal gefüttert und die Fische genauestens beobachtet - auch direkt nach dem Aufwachen ohne Licht im Becken mit einer Taschenlampe - IMMER ALLE WOHLAUF.
In der Spitze hatte ich tatsächlich noch mal 0,8-1 mg/l, habe den letzten Referenzpunkt des JBL-Tests (1 mg/l) aber nie ganz erreicht.
Heute war erstmals kein NO2 mehr nachweisbar. Ich gehe davon aus, das Ding ist jetzt durch - zum zweiten Mal...
Auch habe ich heute zum zweiten Mal nach Besatz 50 % Wasser gewechselt - dazu kann ich sagen: das finden die Kollegen überhaupt nicht gut!
Eine Wasserwechselorgie zur NO2-Senkung hätte also völlig unnötig massiven Stress verursacht - für die Fische und auch für mich.
Weiterhin weise ich darauf hin, dass ich gerade mal 0,5 g/l Salz im Wasser hatte. Man liest hier gelegentlich, dass manch einer bis auf 2 g/l geht, ohne die Fische ansatzweise zu beinträchtigen. Ich hatte also auch beim Salz noch gewaltig Luft nach oben.
Nun stellt sich mir die Frage:
Warum machen wir uns überhaupt irre wegen NO2?
Wir haben keine anspruchsvollen Pflanzen und den Ostafrikanern machen 2 g/l Salz überhaupt nichts aus.
Ich würde mich sogar zu der These hinreißen lassen: Wir können, ausreichend Salz im Haus (in meinem Fall ist es Geschirrspülsalz von K-Classic - reines NaCl) vorausgesetzt, getrost auf Nitrit pfeifen. Wasserwechsel zur Nitritsenkung sollten unterbleiben, um die Fische und uns nicht UNNÖTIG zu stressen.
Sorry mal wieder für so viel Text und Grüße
Andreas